Im tiefsten Grund zahlreicher Fehlverständnisse
Wer hat sich noch nicht in einer Lage befunden, wo sich er und ein Gegenüber als entgegengesetzte Kräfte auswiesen? Was die Angelegenheit in Gang brachte, ist nicht mehr länger das Thema. Klar, jede Partei fühlt sich verletzt, und jede Partei fühlt sich für die Härte in ihrem Herz gerechtfertigt. Jemand tat nicht das Rechte. Jeder denkt, es sei der Andere, der nicht richtig handelte. Jeder fühlt sich in die Opferrolle gedrängt. Jeder sieht den Anderen als einen Schurken, vielleicht als einen Erzschurken.
Jede Partei möchte gerne geliebt werden. Was auch der herbeiführende Vorfall ist, jede Partei liebte nicht und wurde nicht geliebt, wurde zum wenigsten nicht genug geliebt. Jede Partei hatte ihre Hintermauerung. Den hineingezogenen Parteien wurde es zu einer Frage der Ehre, der Redlichkeit, der Tugendhaftigkeit, der Richtigkeit, der Gerechtigkeit. Die Zeichen stehen dafür.
Jemandes Mangel an Gewahrsein geriet zu einer Gewalttätigkeit, und zu einer unentschuldbaren Gewalttätigkeit. Und jeder verteidigt seine Position. Er oder sie wurde ausgenutzt. Der Andere war herzlos. Der Andere hatte keine Bedachtnahme an sich. Der Andere war der Bösewicht.
Sei argwöhnisch, sobald du deine Ehre auf dem Spiel stehen siehst. Ersetze das Wort Ehre durch das Wort Ego.
Zumindest in den alten Tagen war es so – wenn ein Paar tanzte und die Dame machte einen Fehlschritt, da sagte der Gentleman: „Entschuldige mich.“ Letztlich sagte er: „Bitte verzeihe mir für deinen Fehlschritt.“ Die Gesellschaft setzte Tanzen in der Art an. Irgendwie entschlüpfte diese Liebenswürdigkeit. Dieses gütige Entgegenkommen, diese liebenswürdige Gefälligkeit im höchsten Sinne, verdrückte sich. Was denn kostet einen die Ansage: „Entschuldige mich“.
Nun, lasst uns auf die Thematik der zwei angreifenden/angegriffenen Familienmitglieder oder Freunde zurückkommen, und darauf, dass derzeit keiner von beiden herauskommen und der erste sein möchte dabei, den Schmerz los zu lassen. Jemand hat ihn los zu lassen. Irgendwann werden sie in der Lage sein, die Härte des Herzens gehen zu lassen. Wann? Beide Parteien wünschen sich, der Felsblock, der sie voneinander trennt, wäre aus dem Weg geschafft, und sind wie die Schuljungen, die unablässig behaupten: „Er hat angefangen.“
Das mag ja stimmen. Es mag so sein, dass der andere Junge damit angefangen hat. Es mag so sein, dass er ganz grundlos damit begonnen hat. Wie lange freilich soll der Kampf weitergehen? Die bessere Frage, die zu stellen wäre, lautet: „Wer wird den Mini-Krieg beenden?“
Jedermann glaubt an Vergebung, alldieweil lässt eine halsstarrige Verstockung einen stahlharten Sinn, diejenige Partei zu sein, der Unrecht angetan worden war, fortbestehen. Was ist so Wundervolles daran, die geschädigte Partei zu sein? Wie verficht dies dich oder sonstwen und dein Festhalten daran, was los gelassen zu werden hat?
Versöhnlichkeit ist ein Vorkommnis, welches schief lief, los lassen. Vergeben ist Freiheit. Los lassen ist Freiheit. Vergeben ist eine Barriere beseitigen. Ein Tor brach zusammen, und nun schaffst du das Tor beiseite. Falls niemand sonst in der Lage zu sein scheint, das Portal wegzuschaffen, dann bist du vielleicht der einzige, es fortzuräumen.
Sofern in dem herbeigeführten Vorfall Schuld zum Tragen kommt, ist es Schuld der Unkenntnis. Die eine Partei hatte keine Vorstellung von dem Schmerz, den sie im Begriff war zuzufügen. Sie konnte eine Idee davon gehabt haben, sie sollte sie gehabt haben, aber sie hatte sie nicht. Und diese eine Partei, geprägt von geringer Selbstwertschätzung, kann sich nicht dazu veranlassen zuzugeben, dass sie keineswegs im Ganzen genommen ohne Zuständigkeit war, hingegen war sie womöglich der Akteur, nicht so sehr der Reakteur. Da er sich nicht hinlänglich wertschätzt, fühlt sich derjenige, der die Abspaltung einleitete, eingebunden, sich als derjenige aufzuführen, der verwundet wurde. Die Reaktion des Anderen verletzte ihn, und er ist noch nicht in der Lage, seinen eigenen Schmerz zu überwinden.
Ich zeige dir nicht an, dich über deine eigenen Gefühle hinwegzutäuschen. Beginne mit der Arbeit an dir selber auf den feineren Ebenen. Arbeite an deinem eigenen Herzen, sodass deine Rede wahrhaftig sein kann und eine Mauer auszubessern imstande ist.
Translated by: theophilPermanent link to this Heavenletter: https://heavenletters.org/im-tiefsten-grund-zahlreicher-fehlverstaendnisse.html - Thank you for including this when publishing this Heavenletter elsewhere.
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