HEAVEN #3285 Der Mond des Jahres
DER MOND DES JAHRES
Du weißt, Zeit ist bloß relativ. Du weißt, manchmal läuft die Zeit rasch, manchmal langsam. Dir scheint es, Neujahr ist gerade soeben gewesen, der Mond des Jahres nimmt ab, und das illusorische Jahr ist fast vorüber. Wie schier jede fernere Minute, die dahingeht. Die Zeit wird schneller und schneller. Halte dich bei der Mitfahrgelegenheit fest, selbst während die Zeit still steht, denn Zeit existiert nicht. Zeitstockungen existieren im Grunde nicht. Zeit ist ein Eindringling, der dich in seiner Knechtschaft hält.
Indes seid ihr, wie zu einem Magneten, zur Zeit hingezogen. Die Zeit zieht euch her, so wie der Mond die Gezeiten herbeizieht. Die Zeit hat sich ihre Rechte über euch gesichert. Sie ist zu einer Hauptstütze geworden. Die Welt läuft auf ihr. Die Welt verbeugt sich vor ihr. Selbst obschon die Zeit eine Fantasie ist, verbeugt sich die Welt vor ihr. Alle kommen zusammen und begegnen sich in vorgegebener Zeit.
Schau dir stattdessen die Ewigkeit an. Schaue auf die Unsterblichkeit. Sie sind umfassender, als die Zeit jemals vorgeben könnte zu sein, aber die Zeit ist es, die euer Gewahrsein kaperte. Die Zeit wartet auf niemanden, so sagt ihr, jedoch gibt es im Himmel überhaupt keine Zeit, überhaupt keine wahrgenommene Zeit, keine Heimsuchungen von Zeit. Ich nehme an, ihr könntet sagen, dass Zeit Ewigkeit ist, Ewigkeit, die stückchenweise herausgehängt ist. Ihr könntet sagen, dass die Zeit bloß ein Schatten der Ewigkeit ist. Freilich im Eigentlichen – Ewigkeit ist derart ausladend, sie vermag nicht in einem Blick erfasst zu werden. Ewigkeit ist mehr wie die Luft, die ihr atmet. Luft ist nicht sichtbar, und doch atmet ihr sie ein und aus. Ich nehme an, ihr könntet sagen, dass die Zeit die Ewigkeit kenntlich macht, oder dass die Zeit Blasen der Ewigkeit herstellt, oder dass die Zeit Ewigkeit in rationierter Form ist, oder ein kurzer Schatten der Ewigkeit, indes sind keine dieser Annahmen stimmig, denn in der Nähe des Lichts der Ewigkeit gibt es keine Kerze, weder zum Hinhalten noch zum Betrachten.
Und du bist eine Unsterbliche. In der Unsterblichkeit ist keine Zeit eingekleidet. Du bist ein Ewiges Seinswesen. Dein Körper ist ein schieres Aufglimmen angesichts der Ewigkeit. Du bist natürlich Ewig. Dein Körper ist etwas Vorübergehendes. Und wieso solltest du je deinen Körper für immer behalten mögen, während er bloß ein Pinselstrich ist, in den du im Verlaufe dieser angenommenen Kreuzung in der Ewigkeit namens Zeit eingetaucht bist. Die Zeit schlägt einen Gong. Die Ewigkeit ist still. Ein Gong bürdet sich der Stille auf. Die Zeit auferlegt sich der Ewigkeit. Und dennoch erfahren weder die Ewigkeit noch die Stille Einwirkungen.
Wir könnten sagen, die Zeit ist wie der Griff des Zweijährigen, der sich an das Bein des Vaters hängt. Oder die Zeit ist das, was es scheinbar braucht, um eine köstliche Birne zu essen, oder keine köstliche Birne zu essen. Es gibt überhaupt keine Zeit, und doch schlägt die Welt die Trommel der Zeit. Die Zeit läutet ihre Glocken, indes ist sie allesamt Getöse.
Geliebte, die Zeit kann euch nie ausgehen, denn sie ist nicht. Zeitmesser gibt es, aber es gibt keine Zeit, die knapp wird.
Und doch hetzen Meine Kinder auf der Erde, um rechtzeitig und nicht zu spät zu sein. Zeit ist ein Spitzbube, der euch berückt. Zeit ist ein Rosstäuscher. Sie möchte euch gerne die Show stehlen. Das Leben auf der Erde wird in Zeit abgemessen, gleichwohl existiert Zeit nicht. Zeit kann niemals eingefangen werden. Ewigkeit kann weder in eine Wechselgeldbörse gelegt, noch kann sie durch das Tropfen eines Wasserhahns kenntlich gemacht werden. Es gibt keine Augenblicke. Uhren ticken, aber sie ticken nichts. Ewigkeit kann nicht gemessen werden, nicht mehr, als die Realität von euch abgemessen zu werden vermag.

